Ruhestörung durch psychisch Kranke - ein heikles Thema
Warum es nicht immer leicht ist, solidarisch zu sein
Theresa sitzt in ihrem Stammcafé, schmökert tiefenangespannt in ihrem fesselnden Thriller bei einem Glas Wein. Könnte ein guter Ausklang eines wahrhaft schönen Tages werden. Während sie intensiv an den lackierten Fingernägeln knabbert und sich bibbernd fragt: „Wird sie? Oder er? Oder beide? Oder keiner? Oder wird es ein ganz anderer gewesen sein?“, bahnt sich – langsam, aber sicher – ein skandalöser Zwischenfall an. Zunächst schleicht er sich als dunkler Schatten in ihr peripheres Sehfeld ein, um sich dann im Handumdrehen als fürchterliche Wahrheit zu entpuppen:
Mit durchdringendem Singsang von blendend-feuerwehralarm- roten Lippen stapft schnurstracks eine Frau auf sie zu und jault schneidezahn-lückend:
„Biiiite, biiiite, biiiiiiite.“
Als Theresa schon befürchtet, die scheinbare Vertreterin des Furien-Geschlechts kraucht unerbittlich in ihr sonst extrem sozial eingestelltes Herz hinein, spürt sie sehr, sehr deutlich eine intuitive Abwehr. Sie hebt entschieden ihre Hände, um ihr knallhartes „Nein, ich gebe nix, nicht in dem Stil, nicht mit mir“ glasklar mit dem entsprechenden Super-sauber-Fenster-Reiniger zu signalisieren.
Sie hätte auch einem Krokodil mit hungrigem Magen begreiflich machen wollen: „Nö, du frisst mich nicht.“
Dementsprechend rückt sie Theresa noch dichter auf die Pelle. Eindringlich tippt sie auf ein Blatt Papier und hält es ihr dermaßen nah unter die Nase, dass Theresa anfängt zu schielen. Madame Zänkisch fordert weiter in markerschütterndem Ton: „Biiiite, biiiiiite, biiiite, Adressa, wo, Adressa, Adressa, wooo?“
Hypnotisierend stiert sie Theresa abgrundtief und voller Glut in deren nunmehr entsetzten Augen, pocht immer wieder auf den Bogen und wiederholt annähernd hysterisch ihr „Biiiiiiite Adressa wooo?“-Mantra.
Derart drangsaliert wirft Theresa einen verschwommenen Blick auf das Dokument und zirkelt mühsam ab, dass es sich um ein Schreiben der Rentenversicherung handelt, die am Fehrbelliner Platz sitzt. Ungefähr fünf Minuten latschen und anschließend express geschätzte neun U-Bahnstationen entfernt von diesem Ort, an dem sich das Grauen gleich abspielen soll.
Geschwind switcht Theresa von ihrem genervten Geh-weg! - in den flauschigen Helfersyndrom-Modus. Nun möchte sie der finster entschlossenen Rot-Lippen-Zahnlücken-Lady Orientierung geben, damit diese ihren Weg findet und vor allem endlich aufhört, temperamentvoll mit ihren unsichtbaren Kastagnetten zu klappern. Darum versucht Theresa, ihr in möglichst einfachen Worten zu erklären, wie sie dorthin käme.
Aber irgendwas macht sie falsch.
Entgeistert gafft sie Theresa ein, zwei, drei bitterböse Sekunden an, dreht sich sodann angesäuert und ungehindert mit den Augen rollend von Theresa weg, um sich ihr sofort und vulkanös wieder zuzuwenden. Sie steigert sich so dermaßen in einen unbändigen Zorn hinein, dass sich Theresa wie eine Torera fühlt.
Eine, die kurz davor ist, das Handtuch – ach nein, das rote Tuch – in Ergebenheit vor der übermächtigen Angriffslust des schnaubenden Stieres zu schmeißen.
Dann geschieht im Schweinsgalopp dies:
Der Kellner Mario kommt an ihren Tisch gerast und schreit – der Stimmung entsprechend angepasst – aufgebracht: „Wo ist dein Handy, Theresa??? Hast Du dein Handy, Theresa?!?“
Verwundert beäugt sie den Tisch vor sich. Habe ich nicht vor fünf Minuten noch ein liebliches Signal gehört, dass mir eine bestimmt sagenhafte Nachricht gesendet wurde? Aber: gähnende Leere. Unverschämterweise ohne Hand vorm Mund.
Im Nu zweifelt Theresas Verstand an ihr – sehr ungezogen von ihm, aber sie haben das geklärt – deswegen dreht sie sich nach rechts, weg von der immer noch impulsiv daherkommenden Dame, und guckt in ihrer Handtasche nach: ebenfalls ein Handy-Nirvana.
Panisch schaut sie wieder zum Tisch, denkt noch „………“, um dann ihr Smartphone in strahlender Jungfräulichkeit am ursprünglichen Platz zu registrieren, ohne auch nur irgendwas zu kapieren. Mario raunt hörbar zufrieden: „Sie hat es wieder zurückgelegt.“ Woraufhin die „Biiiitte“-Drama-Queen in Nullkommanix entschwindet (selbstverständlich ohne „daaankeee“). Speedy Gonzales ist gar nix dagegen.
Ist Theresa ein Schaf?
Definitiv. Hat sie dazu gelernt? Darauf können Sie einen lassen (welchen, dürfen Sie sich aussuchen).
Wie gesagt: Theresa ist wirklich eine allen Menschen gegenüber aufgeschlossene Person – unabhängig von der Nationalität, der sexuellen Orientierung, der religiösen Einstellung, dem körperlichen und geistigen Zustand und so weiter und sofort. Sie bremst sogar für Ameisen und befreit nach wie vor jede Wespe, die sich in ihrem Glas verirrt (obwohl mal nach einer solchen Rettungsaktion sich ein Kumpel auf sie stürzte und ihr einen heftigen Stich im Oberarm verpasste, was ihr kurzfristig einen einseitigen Arnold-Schwarzenegger-Bizeps-Look verpasste).
Aber es gibt Momente, da fühlt sie sich einfach bedrängt; genau dann, wenn ihre Grenzen überschritten werden. Neulich zum Beispiel wollte sie sich eine ruhige Mittagspause in der atmosphärischen Altstadt Spandau gönnen. Ihr wirbelte viel durch den Kopf, sie musste runterkommen. Was ihr nicht gelang, da ein junger Mann brüllend im Achteck hopste: „SCHEIẞ BERLIN!!! SCHEIẞ DEUTSCHLAND!!! SCHEIẞ JUDEN!!! SCHEIẞ NAZIS!!! SCHEIẞ IHR ALLE!!! (Immerhin hatte er keine spezielle „Hass“-Gruppe.) Und das als dreißigminütiger Refrain. Als ein Passant meinte: „Komm mal wieder runter, Junge!“, schrie er: „ICH KANN NIX DAFÜR, ICH BIN AUTIST!!!“
Sofort wurde Theresas Herz butterweich.
Das änderte aber nichts daran, dass ihre Nerven anschließend flatterten wie ein Bikini-Oberteil auf der Wäscheleine bei Windstärke 10.
Nun war das ja „nur“ eine Momentaufnahme, aber jetzt hat sie ein anderes Problem: Sie wohnt seit 20 Jahren in der Nähe eines Heims, das Menschen mit geistiger Behinderung und begleitenden psychiatrischen Erkrankungen sowie ausgeprägten Verhaltensstörungen betreut. In all diesen Jahren kam es ab und zu mal vor, dass einer der Hilfebedürftigen im Freien lauthals sein Leid verkündete.
In diesem Sommer ist das aber zu einem Dauerzustand geworden. Als hätte derjenige eine Surround-Booster-Anlage eingeschaltet, ist sein Flehen, Stöhnen, Wehklagen auf dem Balkon, vom Heim und vom Park her, auf dem Weg zur U-Bahn und wieder nach Hause zurückzuhören. Fast täglich, mitunter über eine halbe Stunde dauernd, manchmal sogar mit kleinen Pausen dazwischen und erneuten Anläufen.
Das geht durch Mark und Bein.
Theresa ist sich bewusst, dass dies natürlich eine ganz besondere Gruppe von Menschen ist, die das nicht mit böser Absicht tun (wie der Autist in der Altstadt), sondern in ihrer eigenen, offensichtlich qualvollen Welt leben. Ihr Mitgefühl ist riesengroß, aber dadurch verliert auch ihre Lebensqualität an Wert.
Nun hat sie überlegt, ob sie nicht wenigstens als „Trostpflaster“ eine Mietminderung durchsetzen kann und fand dies im Internet:
Die Bewahrung des Mieters vor äußeren Einflüssen gehört unter anderem zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Mietwohnung – dazu zählt auch der Problembereich Lärm. Dabei sind Ruhestörungen durch Behinderte ein ausgesprochen heikles Thema.
Einerseits haben Mieter ein Ruhebedürfnis. Bei übermäßigem Lärm durch die Nachbarschaft sind sie zur Mietminderung berechtigt. Andererseits muss der Umgang mit Ruhestörungen durch Behinderte darüber hinaus hinsichtlich einer möglichen Diskriminierung bedacht werden.
Da es gilt, Einzelfälle einzuschätzen, ist eine pauschale Beurteilungen nicht möglich. Jedoch finden sich einige Orientierungsansätze:
Lärm ist nicht unweigerlich gleich Lärm
Maßgeblich ist eine objektive Betrachtungsweise. Die jeweilige Situation darf nicht anders betrachtet werden, weil die Ruhestörungen von Behinderten ausgehen, sondern genauso behandelt werden, wie zum Beispiel durch Jugendliche, leicht reizbare Nachbarn oder alkoholisierte Personen hervorgerufene. Genauer gesagt: Die besondere Situation behinderter Menschen spielt eine zusätzliche Rolle.
Musterentscheidung bei Ruhestörungen durch Behinderte (OLG Köln - NZM 1998, 122)
Ein Grundstückseigentümer beschwerte sich über die Ruhestörungen von zu Betreuenden eines heilpädagogischen Heims in der Nachbarschaft. Dies hätte auch ein Mieter tun können. Der Fall: Die dort untergebrachten geistig behinderten Personen waren bei gutem Wetter im Freien. Sie schrien, stöhnten und kreischten. Dies empfand der Grundstückseigentümer beim Aufenthalt auf dem eigenen Grundstück als äußerst belastend.
Das Gericht nahm eine Interessensabwägung vor, ob und inwieweit ein Grundstückseigentümer einen Unterlassungsanspruch im Falle einer Ruhestörung in seinem Eigentum geltend machen kann.
Maßstäblich dabei war - sowohl die Empfindung eines verständigen Durchschnittsmenschen aufgrund dieser Situation- als auch, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
Dementsprechend ließ das Gericht erkennen, dass
- beim Zusammenleben mit behinderten Personen eine erhöhte Toleranzbereitschaft erforderlich sei- die Grenze überschritten werde, sollte dem Nachbarn die Belästigung aus gutem Grund nicht mehr zuzumuten sein.
Das Gericht zog Tonbandaufnahmen und die Aussage von Zeugen zur Entscheidung zur Beurteilung der Umstände heran.
Das Resultat:
Zwar wurde dem Grundstückseigentümer das Anrecht auf Unterlassungsanspruch aberkannt, aber der Heimträger bekam die Auflage, in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Oktober
+ sonntags und feiertags ab 12.30 Uhr,+ mittwochs und samstags ab 15.30 Uhr
+ und den übrigen Werktagen ab 18.30 Uhr
Ruhezeiten anzuordnen.
Da Theresa ein sehr empathischer Mensch ist, hat sie es bevorzugt, den Weg der Klage zu umgehen und der Heimleitung in einem sehr zugewandten Gespräch genau diese Lösung vorzuschlagen. Es hat funktioniert.
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Geschrieben von Susi Purol
